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Online Workshop: Digitale Vermittlungsformate entwickeln mit interkit
13 Schritte – Fünf Fragen an Omer Fast

Offen gefragt: Ellen Blumenstein im Gespräch mit Roland Nachtigäller

Unterwegs mit der Cyber-Staub App in Herford © 2022 Martin Walde, VG Bild-Kunst Bonn, Foto: Marta Herford

Kaum jemand könnte besser über „Offene Welten“ sprechen als die Initiator*innen des Projekts. Dazu gehören unter anderem Roland Nachtigäller, langjähriger Direktor des Museum Marta Herford und seit Jahresbeginn 2022 Geschäftsführer des Museum Insel Hombroich, sowie Ellen Blumenstein, künstlerische Leiterin von IMAGINE THE CITY. Beide haben das Projekt seit der ersten Stunde begleitet und sprechen im Folgenden über ihre Erfahrungen im Projekt „Cyber-Staub“. 


EB: Wir haben den Antrag für unser Projekt „Offene Welten“ im Sommer 2019 gestellt. Das war gefühlt noch in einer anderen Welt. Es ging von Beginn an um die Fragen, wie wir in den städtischen Raum hinein aktiv werden können und wie wir digitale Medien für künstlerische Formate produktiv machen können. Welche Potenziale siehst Du für die Plattform interkit auf Grundlage der ersten beiden Case Studies THE GATE in Hamburg und Cyber-Staub in Herford, und was wäre ein ideales Ergebnis des vierjährigen Entwicklungsprozesses – oder darüber hinaus?

RN: Das größte Potenzial der entstehenden Entwicklung ist in meinen Augen ihre Modularität. Es war eine super Idee, die verschiedenen Funktionen schrittweise über die Case Studies aufzubauen und ihre Zusammenführung dabei immer im Blick zu haben. Daraus wird ein Open Source Baukasten entstehen, den ich wirklich als Mittel zur Selbstermächtigung für Kultureinrichtungen sehe. Und für die Nutzenden ist sicherlich die Verbindung der künstlerischen Perspektiven mit dem spielerischen Zugang über das eigene Smartphone etwas sehr Reizvolles und auch Neues. Wenn man das bis zum Ende nicht aus dem Fokus verliert, wird das ein ganz starkes Ding. Für mich damals als Marta-Direktor stand aber immer auch die Idee der erweiterten Öffentlichkeit im Mittelpunkt, die ja durch deine THE GATE Beiträge einen enormen Input erhält. Neben dem Hinausgreifen des Museums in den Stadtraum ging es mir um eine neue Sichtbarkeit der Museumssammlung, die im Marta nicht in einer Dauerpräsentation, aber auch in vielen anderen Häusern oft nur in kleinen Ausschnitten zugänglich ist. Hier soll das öffentliche Bewusstsein dafür gestärkt werden, dass ein Museum eine sammelnde, forschende und vermittelnde Einrichtung ist, dass die Kulturgüter für die Allgemeinheit und das kulturelle Gedächtnis zusammengetragen werden und dass man sie auch außerhalb der klassischen Ausstellung sehen, verstehen und nutzen kann.


EB: Bevor wir alle zur Eröffnung des AR-Parcours Cyber-Staub von Martin Walde nach Herford kamen, kannte ich nur die groben Eckpunkte des Konzepts. Du hattest sehr früh erzählt, dass Du die Case Study für das Marta gern mit Martin realisieren würdest. Kannst Du mir die Vorgeschichte zu eurer Zusammenarbeit erzählen?

RN: Martin Walde ist für mich der Forscher-Künstler par excellence, und das in einer Breite der Themen und des Interesses, die mich immer wieder verblüfft. Es gibt von Martin seit den frühen 1990er Jahren die offene Serie der „Enactments“, bei denen der Künstler skizzenhafte Zeichnungen von Erinnerungsbildern eigentümlicher Erlebnisse im Stadtraum über nachträglich erstellte Fotografien der realen Orte des Geschehens blendet. So entsteht eine Überlagerung von Realität und Fiktion, der unterschiedlichen Zeitebenen und ein Spannungsverhältnis zwischen An- und Abwesenheit. Die Erinnerung schafft erst die Wirklichkeit. Dieses Überblenden von eigenen Bildern mit dem wahrgenommenen Stadtraum findet ja sein technisches Äquivalent heute in der Augmented Reality – und insofern schien mir Martin Walde genau der passende Künstler zu sein, mit dem wir die Marta Case Study entwickeln sollten.

Martin ist dann mehrere Tage durch Herford gelaufen, hat sich treiben lassen, um dann später bestimmte Eindrücke, Assoziationen, Erinnerungen und Interpretationen in kurzen Texten und Zeichnungen festzuhalten. Am Anfang standen da sehr viel mehr Episoden als letztendlich Eingang in die App gefunden haben. Es war wie ein Destillationsprozess, bei dem die Bilder immer schärfer, konzentrierter und zugleich immer offener wurden. Dann begann die Zusammenarbeit mit einem 3D-Modeller, der aus Martins Skizzen und Entwürfen die passenden Objekte geformt hat, die nun mit der App an bestimmten Punkten im Stadtraum aufgerufen werden können und eine ganz eigenwillige Verbindung mit den Erzählungen des Künstlers zu diesem Ort eingehen.


EB: Cyber-Staub hat mich sofort mitgenommen. Dabei ist die Struktur des Projekts – auch verglichen etwa mit unserer App THE GATE – denkbar einfach: Es gibt einen Parcours, der direkt vor dem Museum beginnt und auf 12 Stationen durch das Stadtzentrum von Herford führt. An jeder Station gibt es einen Aufkleber mit einem QR-Code, der eine Animation aktiviert. Dazu hat der Künstler einen eigenen Text eingesprochen. Die Nutzer:innen finden die Standorte über eine Karte auf der Projektwebsite und können dort die animierten Objekte sammeln, die sie bereits gefunden haben. Klingt simpel, aber die Kraft liegt im Detail, finde ich: Die Texte lenken meine Aufmerksamkeit auf die Umgebung und auch die Objekte fügen der realen Situation eine imaginäre Spur hinzu, statt sie zu kommentieren. Ich hatte das Gefühl, dass ich etwas bei dem Projekt lerne, ohne mich belehrt zu fühlen. Und dass mich dieses Wissen irgendwie emotional berührt. War diese Reaktion in Eurem Sinne?

RN: Ja, es ging uns in gewisser Weise um die individuelle Rückeroberung des öffentlichen Raums durch sehr persönliche Geschichten und Erfahrungen. Die Punkte, an denen die Animationen abgerufen werden können, sind im ganz unspektakulären Sinne „besondere“: Man kann hier, wenn man genau oder auch durch die Stimme des Künstlers geleitet hinschaut, etwas entdecken – Einzigartigkeiten, Absurditäten, poetische Momente oder Querbezüge. Martin Walde erzählt auf seine unverwechselbare Art, was ihm hier durch den Kopf gegangen ist, woran er als „Fremder“ hängengeblieben ist, was ihn erstaunt, erfreut oder verwirrt hat. Und plötzlich schaut man auf das gemeinhin Unbeachtete, Selbstverständliche mit neuem Blick. Wenn man dann diese Erfahrung in ein spielerisches Setting verfrachtet, dann kommt eine Atmosphäre der Belehrung erst gar nicht auf – im besten Fall geschieht so etwas wie eine Verzauberung, das Weichzeichnen einer harten, oft abweisenden urbanen Struktur durch die Anwesenheit und die Interaktion des Individuums.


EB: Mich hat Augmented Reality als künstlerisches Medium bislang nicht sehr interessiert. In unserem Projekt THE GATE hat Dennis Rudolph jedoch eine Geschichte um das eigentliche von ihm entwickelte AR-Erlebnis herum gesponnen, die sich spezifisch auf den Ort bezieht, den er bespielt. So hat er mich als Betrachterin unmittelbar in die Erfahrung eingebaut bzw. mir eine Rolle zugewiesen, die für mich funktioniert hat. Das war ein wichtiger Moment, seitdem bin ich offener für das Format, muss ich gestehen. Wo liegt für Dich das Potenzial von AR-Kunst, und in welchem Verhältnis siehst Du sie zu etablierten künstlerischen Genres?

RN: Ich glaube, die Vorbehalte gegen AR, die ich übrigens mit dir teile, liegen vor allem darin begründet, dass die digital generierten und mit dem Umraum interagierenden Objekte und Strukturen nach wie vor weit von der Komplexität physischer Erfahrungen entfernt sind. Deshalb zum Beispiel sind computergenerierte Filme, die mit „Toy Story“ ja ihren populären Siegeszug begannen, noch immer so unglaublich schnell geschnitten und, wenn gelungen, überaus witzig und schlagfertig – wir würden sonst angesichts der Glätte der Oberflächen, ihrer Perfektion und Makellosigkeit (und das gilt selbst noch für bestechende Renderings von schillernden Haar- oder Fellstrukturen) rasch eine große Leere empfinden, eine Traurigkeit über die Abwesenheit von Bedeutung in einer für uns unerreichbar scheinenden Vollkommenheit der Form.

Dennoch liegt die Stärke von AR in ihrer Faszinationskraft, in gewisser Weise auch in ihrem Überwältigungspotenzial – heute nennt man das Immersion – und in der Möglichkeit, die Verbindung von Realraum und Simulation zu einem eigenen Faszinosum zu führen. Gerade wenn die Bezüge uneindeutig bleiben, wenn Freiräume und Leerstellen in der generierten Welt herausfordern, sie individuell zu besetzen und zu füllen, dann können inspirierende neue Erfahrungen entstehen. Insofern sollten wir uns beim Einsatz von AR vor beiden Gesten, dem Erklärmodus wie dem sensationsheischenden Überwältigungsmodus hüten.

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