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Online Workshop: Digitale Vermittlungsformate entwickeln mit interkit
13 Schritte – Fünf Fragen an Omer Fast

Cyber-Staub: Erste Schritte in die erweiterte Realität

Martin Walde, „Cyber-Staub (Die enge Gasse)“, 2021 © 2022 der Künstler, VG Bild-Kunst Bonn, Foto: Marta Herford

Stadt und Institution, realer und digitaler Raum, Denken und Bewegung: So lassen sich einige der Parameter fassen, die das Spannungs- und Interessenfeld des Projekts „Offene Welten“ beschreiben. Mit der App „Cyber-Staub“ wurde im Marta Herford die zweite Fallstudie entwickelt, anhand derer das App-Redaktionssystem interkit entstehen soll. Dabei bringen die Verbundpartner unterschiedliche Bedürfnisse und Voraussetzungen mit.

Das Museum Marta Herford gehört zu den wichtigsten Akteuren in der städtischen Kulturlandschaft und ist einer der Hauptanziehungspunkte für auswärtige Besucher*innen. Hier werden aktuelle gesellschaftliche Debatten aufgegriffen, Vermittlung und Teilhabe angestrebt. Und doch stellt der Eingang zum Museumsgebäude für viele eine große Schwelle dar. Es liegt also nahe, auch andere Wege zu bestreiten und die Kunst in den Alltag und in den öffentlichen Stadtraum zu bringen – und diese gleichzeitig zum Thema zu machen.

Noch bevor wir wussten, welche technischen Entwicklungen des App-Systems wir erarbeiten wollten, haben wir den österreichischen Künstler Martin Walde (*1957 in Innsbruck, lebt und arbeitet in Wien) mit ins Boot geholt, mit dem wir im Marta schon in verschiedenen Kontexten zusammengearbeitet haben. Walde ist ein multimedial, konzeptuell, installativ und skulptural arbeitender Forscher. Intensiv setzt er sich mit der Bedeutung, Erscheinung und Wirkung von Dingen und Phänomenen auseinander und nimmt dabei auch natur- oder sozialwissenschaftliche Methoden zur Hilfe. Im Zusammenhang mit „Offene Welten“ fragt er sich, was den Stadtraum ausmacht, formt und definiert. Was unterscheidet den öffentlichen Raum unterschiedlicher Städte? Was ist spezifisch für Herford?

Während er diesen Überlegungen nachgeht, kristallisiert sich heraus, dass es auf technischer Ebene im Herforder Projekt darum gehen soll, ein Modul für die Einbindung von Augmented Reality (AR) zu entwickeln: digitale Erweiterungen des realen Raums, die nur über das Smartphone erlebbar werden. Was in Gaming (z.B. Pokémon Go) und Social Media (z.B. Instagram-Filter) längst unverzichtbarer Standard ist, kommt in der Kunst in den letzten Jahren erst langsam an.

Tatsächlich ist es wohl der Corona-Pandemie zu verdanken, dass AR in der Kunst zuletzt einen großen Schub erfahren hat. Die Ausstellung „Berlin, Augmented Berlin“ die seit Anfang 2021 digital verfügbar ist, entstand in direkter Reaktion auf den Lockdown, mit dem Museumsschließungen und die Verlagerung von Veranstaltungen in den digitalen Raum einhergingen. Digitale Kunstwerke sind unabhängig von einer räumlichen Institution und über die Grenzen der Stadt hinweg erlebbar. Im Sommer 2021 zeigte dann das NRW-Forum in Düsseldorf die erste AR-Biennale im Ehrenhof und dem angrenzenden Park.

In einer Kritik des Spiegels heißt es dazu: „Sicher dürfte sein, dass die AR Biennale ein technikaffines, junges Publikum anziehen wird, ihre Niedrigschwelligkeit tut gut. (…) Man kann hier Spaß haben, mit dem Handy, ohne sich klein zu fühlen. … Die Kunstwelt wird mehr von diesen Ausstellungen brauchen, wenn sie nachfolgende Generationen zu Kulturkonsum erziehen will.“ An anderer Stelle jedoch: „Ob die »Pokémon Go«-Ästhetik mit In-App-Käufen sich durchsetzen wird? Ist die gamifizierte Welt wirklich eine Erweiterung des Kunstbegriffs – oder dessen Kapitulation vor dem Siegeszug der Unterhaltungstechnik?“ Und tatsächlich laufen die Formate, die um das Phänomen AR kreisen schnell Gefahr, in Beliebigkeit auszulaufen oder sich im technisch-ästhetischen Reiz zu erschöpfen, wenn sie ohne thematischen Rahmen auf das Medium fokussiert bleiben.

Wie können und wollen wir die Technik also produktiv nutzen? Vielleicht kommt es uns hier zugute, dass wir mit Martin Walde keinen dezidierten Digitalkünstler im Projekt haben. Sein primäres Medium ist in diesem Fall die Erzählung. Seine Beschreibungen bemerkenswerter, faszinierender, merkwürdiger, absurder oder gar unheimlicher Phänomene, die er im Herforder Stadtraum entdeckt hat, bilden den eigentlichen Kern des Werks. Die AR Objekte wurden darauf aufbauend in einem offenen Prozess in Zusammenarbeit mit dem 3D Grafiker Oliver Doehring entwickelt. Sie stehen zwischen Illustration, Interpretation und Visualisierungsvorschlag für das, was Martin Walde berichtet. Im Grundsatz geht es bei dem App-Parcours darum, vom Smartphone losgelöst, den Blick auf das Umfeld zu erweitern, auch das Banale wahrzunehmen und unvoreingenommene Deutungsmuster zu erlauben.

Ein anderes, wohl offensichtlicheres, kreatives Potential liegt im eigenen Anwenden der digitalen Technik: dem Platzieren der „eingefangenen“ Objekte und damit auch dem Schaffen eigener Erzählungen. Stichwort „Gamification“: Dadurch, dass AR vor allem aus dem Freizeitbereich vertraut ist, liegt ihr per se schon ein spielerischer Charakter inne. Cyber-Staub ist zudem wie ein Sammelspiel konzipiert: reale Orte müssen, wie bei einer Schnitzeljagd oder beim Geocaching aufgesucht werden, um vor Ort ein Objekt freizuschalten. Mit dem zusätzlichen 13. Objekt gibt es außerdem eine Belohnung, wenn alle 12 Orte des Parcours aufgesucht wurden. Damit werden ganz andere Reize mobilisiert, als im Kunstmuseum die Regel ist. Und auch aus kuratorischer Sicht ist es eine ungewohnte Art zu denken.

Allerdings kommt auch der ein oder andere kleine Zweifel auf: Macht man sich mit einem Sammelspiel zu banal? Ist es der richtige Weg, Besucher*innen über diese Art von „Rausch“ einzufangen? Und was, wenn einige am Ende doch nur das AR-Erlebnis ohne die Geschichte wahrnehmen? Wenn so aber doch eine erste Annäherung an Kunst und die Institution Museum geschaffen werden kann, ohne die Schwelle der vermeintlich hochvergeistigten Ausstellung? Oder wenn dadurch „analoge“ Museumsbesucher*innen Kunst auch außerhalb des geschützten Museumsraums erleben und zum Entdecken in Bewegung geführt werden können?

Durch „Offene Welten“ können wir die Bedenken erst einmal über Bord werfen. Das Experimentierfeld ermöglicht es, Beobachtungen und Erfahrungen zu sammeln, um herauszufinden, wie AR als Kunst wirkt, wie sie in Kunstwerken genutzt werden und neue Räume eröffnen kann und was sie mit unseren Besucher*innen und Nutzer*innen macht.

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