Gedanken sind manchmal verworren, ungeordnet und gehen unerklärliche Wege. Aber heißt das auch, dass man ihnen kein Gehör schenken sollte? Was würde passieren, wenn man diesen Gedanken freien Lauf lässt und sie aufzeichnet? Wenn man sie in Worte fasst und sie umwandelt in etwas Sichtbares? Auf der Spur von Gedanken – melancholischen, ironischen, lustigen, tiefgründigen und manchmal auch verwirrenden – kann man mit der App Cyber-Staub die Stadt Herford aus der Perspektive des österreichischen Künstlers Martin Walde erkunden.
Dort ist ein Rundgang entstanden, in dem Walde die Stadt Herford auf der Suche nach überraschenden Momenten und neuen Sichtweisen untersucht. Die Gedanken, die ihm während seiner Erkundungen gekommen sind, hat er aufgezeichnet. Basierend auf diesen Notizen wurden von AR-Designer Oliver Doehring Augmented Reality Phänomene entwickelt, die auf ganz konkrete Weise und als sehr persönliche Interpretationen die Beobachtungen von Martin Walde visualisieren.
Um diesen künstlerischen Gedanken durch die Stadt Herford zu folgen, lade ich mir zunächst die webbasierte App Cyber-Staub über den Browser meines Smartphones. Auf dem Startbildschirm erscheint eine Nummer – dabei handelt es sich um eine sogenannte Session ID. Es lohnt sich, diese Nummer abzuspeichern, denn damit kann man immer wieder auf freigeschaltete Phänomene zugreifen oder seinen Spaziergang durch Herford zu einem anderen Zeitpunkt fortsetzen.
Ich beginne den Stadtrundgang an der Station 1 mit dem Titel „Reiherblau“, die sich auf der Hinterseite des Museums Marta Herford befindet. Ich laufe an schlanken Birken entlang und stehe schließlich etwas oberhalb des Flusslaufs der Aa. Auf dem Boden befindet sich ein bunter Sticker mit einem QR-Code. Diesen QR-Code scanne ich mit der geöffneten App auf meinem Smartphone.
Direkt offenbart sich mir, was es mit den Augmented Reality Phänomenen auf sich hat: Durch die Luft schwebt ein animierter blauer Reiher – natürlich nur auf dem Bildschirm meines Smartphones, denn dieses Objekt entstammt nicht umsonst der „erweiterten“ Realität. Man kann die Flugbahnen des Reihers auf dem Bildschirm mit ein bisschen Drehen und Wenden des Handys verfolgen. Es ergibt sich ein verwirrendes und zugleich schönes Spiel zwischen Natur und virtueller Welt.
Die insgesamt 12 Stationen müssen nicht in ihrer chronologischen Reihenfolge abgelaufen werden. Auf meinem Rundgang mache ich mich als nächstes auf die Suche nach dem Phänomen „Ahornsirup“ (Station 3). Dort, neben dem QR-Code am Boden, steht ein knorriger Baum. Der Stamm weist starke, nach außen gewölbte Narben auf. Nach dem Scannen des QR-Codes fallen große goldene Tropfen vom Himmel oder aus der Baumkrone. Sie fallen langsam, immer nur ein Tropfen nach dem anderen. Noch eine Weile betrachte ich das Fallen der Tropfen, die sich sanft in einer Lache am Boden sammeln, dann spaziere ich zur Station „Regenbogengerüche“ (Station 4) weiter. Hier spricht Martin Walde selbst aus meinem Smartphone zu mir:
“Düfte sind flüchtig wie Wolken und wechselhaft wie Wetter; mal grau, mal rosa, blauschwarz und orangerot, grün, schwarz und manchmal schillernd changierend in den Farben von Regenbögen. Gerüche lassen mich vergessen, was rundherum geschieht.”
Davon inspiriert halte auch ich meine Nase in den Wind: Wie riecht denn die Stadt Herford? Der Künstler hat Recht: Da ist nicht nur der Geruch von Wasser und Moos, da ist auch noch etwas, das weniger traumhaft riecht und wohl dem nahen gelegenen Abwasserkanal entsteigt. Aber es kann eben nicht alles rosig sein! Dann öffne ich das AR-Phänomen dieser Station – ein fließendes Farbenspiel – wie ein schimmerndes, sachte wehendes Tuch bewegt es sich auf meinem Bildschirm. Ich bin ganz verzaubert von dieser Ansicht und lasse das bewegte Bild bei meinem weiteren Spaziergang an anderen Stellen der Stadt wiederaufleben: Auf der Straße, auf dem Wasser des Flusses, vor den umstehenden Häusern. Ein virtueller Regenbogen, der mich nicht nur das Hinsehen und Innehalten lehrt, sondern auch das Riechen.
Cyber-Staub ist das Ergebnis einer Mischung aus realen Orten, persönlichen Gedanken des Künstlers und virtuell Geschaffenem – und ich als Nutzerin muss ebenfalls einen Beitrag dazu leisten: mit meiner Fantasie. So lässt sich Cyber-Staub nicht nur auf dem Bildschirm und in der Stadt erleben, sondern auch in den eigenen Gedanken weiterspinnen.