Florence Jung erschafft Szenarien, die sich von der Fiktion zur Realität bewegen, ähnlich wie Gerüchte im digitalen Zeitalter plötzlich zu Tatsachen werden. Ihre Arbeiten – von denen keine bildlich dokumentiert ist – untersuchen unser Verhältnis zu Ungewissheit, und wie Spekulationen und Ängste unsere Wahrnehmung prägen.
Gemeinsam mit dem Berliner Entwicklerteam interkit konzipiert die Künstlerin eine interaktive App für das Smartphone, die im Rahmen von „Offene Welten“ ab September 2022 erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt wird. MGKWalls ist die erste sichtbare Auskopplung dieses Vorhabens, mit der Jung den geschlechtslosen Charakter Sam vorstellt.
Die ortsspezifische Ausstellungsreihe des MGKSiegen stellt zwei prominente Museumswände in den Mittelpunkt: die Eingangswand im Foyer des Museums sowie die große LED-Wand an der Außenfassade. MGKWalls bildet damit nicht nur einen wichtigen Teil des Ausstellungsprogramms, sondern verbindet das Museum mit dem Stadtraum und seinen Bewohner*innen.
Auf der LED-Außenwand präsentiert Jung eine Reihe von kurzen Chat-Nachrichten. Sam scheint Passanten zu beobachten, sie herauszufordern oder sie sogar zu verführen, manchmal bis hin zur Provokation. Auf der Foyerwand im Inneren des Museums sind ungefilterte Bewertungen und Rezensionen veröffentlicht, die Reaktionen auf die App zeigen. Wie so häufig im Netz bleiben die eigentlichen Verfasser dieser Bewertungen anonym. Doch wie einer dieser Kommentare sagt: „Du bist nicht nur du selbst, du bist alles, was die Leute über dich sagen.“ Sam bringt diese Logik auf den Punkt, indem er/sie sich als anonyme*r Online-Freund*in ausgibt, der/die die emotionalen Mechanismen untersucht, die uns an unsere digitalen Werkzeuge binden.
Jung untersucht anhand dieses Projekts, wie Technologien Räume erschaffen, die weder real noch fiktiv, sondern emotional sind. Sie zeigt auf, wie tiefgreifend und vielschichtig die Inszenierung von vermeintlicher Intimität geschehen kann. In einer Zeit, in der jeder selbst zum Autor auf seinem eigenen Smartphone werden kann, stellt Jungs Projekt außerdem eine experimentelle Annäherung an Literatur dar. Damit setzt die Künstlerin ihre bisherige scharfsinnige Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Ängsten und ihren Auswirkungen auf unser kollektives Bewusstsein fort.